2. Kapitel

Die Poesie zückte als erstes das wichtigste Utensil jeder professionellen Ermittlerin: ihren Bleistift. Nicht aber, um etwas aufzuschreiben, sondern um eine der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten dieses wertvollen Accessoires (das übrigens nicht nur im Sondereinsatzkommandokoffer der Poesie, sondern auch in keiner Handtasche keiner Frau von Welt fehlen sollte!) zu nutzen. Sie machte eine Kratzprobe. Und kam umgehend zu einem ersten Ergebnis.

Wir haben es hier mit einem Feigling zu tun, sagte die Poesie. Es handelt sich nicht um Sprühlack, es handelt sich vermutlich um gewöhnliche Fingerfarbe!

Das Wort TRUG hatte die Poesie im Handumdrehen mit ihrem Bleistift heruntergeschabt. Die anderen Wörter ließ sie vorerst, für Beweiszwecke, auf der Scheibe.

Dass die Polizei sich nicht dafür interessiert hat, mit welcher Art Farbe hier geschmiert wurde, gibt mir doch sehr zu denken. Dass die Herren darüber hinaus keine Fragen hatten und nicht ansatzweise auf die Idee kamen, sich nach Zeuginnen oder Zeugen zu erkundigen, halte ich für mehr als ignorant. Meinte die Poesie.

Ein Kirchstettner Hundebesitzer, der mit seinem Dackel gerade den ersten Gassigang erledigte und zufällig vorbeigekommen war, hatte die letzten Minuten nun mitbekommen und rief voller Überzeugung aus dem Hintergrund: Fingerfarbe! Natürlich! Nichts als ein dummer Jungenstreich!

Euphoria, die Büchereileiterin, blieb skeptisch, und auch die Poesie erwiderte: Auf den ersten Blick mag das naheliegen. Aber das Naheliegende genügt mir nicht, hat mir nie genügt, sollte nie genügen. Oder kennen Sie Jungen, die konsumieren, was mein routinierter zweiter Blick hier erhascht?

Die Poesie deutete auf einen Zigarrenstummel am Boden.

Sowas raucht kein dummer Junge in einer Silvesternacht vor der Bücherei, sagte die Poesie. Wir haben es hier mit jemandem zu tun, der es ernst meint. Jemand, dem es um Großes geht. Ein Feigling und gleichzeitig ein Angeber. Das gehört meist zusammen. Und: Das hier war nur sein Auftakt. Dieser Mensch hat noch mehr Zigarren in seiner Sammlung. Der wird keine Ruhe geben, bis er alle geraucht hat. Und wer weiß, was dann.

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Die Poesie hat bereits ihren Sondereinsatzkommandokoffer gepackt und ist damit höchst bereit, MORGEN im 2. KAPITEL des FORTSETZUNGSROMANES rund um mysteriöse Vorkommnisse in Kirchstetten weiter zu ermitteln…

Wer sich, wie die Poesie, mit passender Rundumschlag-Lektüre wappnen möchte, kann dies zum Beispiel heute in der Bücherei in Kirchstetten tun: geöffnet von 15 bis 19 Uhr.

Lesen bildet nicht nur, es schärft auch die Sinne, den Verstand und die Menschenkenntnis, sagt die Poesie. Somit ist man mit Büchern für eine Vielzahl an Problemen und Herausforderungen gerüstet.

2. Kapitel??

Das gibt es am Samstag, den 8. Jänner 2022. Das 3. Kapitel einen Samstag später, usw.

Nur so viel sei verraten: Die Polizei hätte gut daran getan, den Fall ernst zu nehmen. Denn es wird nicht bei einem beschmierten Schaufenster bleiben, die Poesie wird allerhand zu tun haben und es wird mehr zu verteidigen sein als das Inventar einer Bücherei….

Es lohnt sich trotzdem, zwischendurch ab und zu reinzuschauen. Denn zwischen den Kapiteln des Romanes gibt es immer wieder auch andere Neuigkeiten und Meldungen rund um die Bücherei und den Alltag der Poesie auf dieser wandelbaren Welt.

1. Kapitel

Das kann ja heiter werden, murmelte die Poesie, als sie in den frühen Morgenstunden des 1. Jänner im Dunkeln das Haus verließ. Nicht einmal ein Kaffee war sich noch ausgegangen.

„Es ist was passiert! Wir brauchen dich hier!“

Die Poesie hatte die vor Aufregung schrille Stimme der Büchereileiterin Euphoria noch im Ohr. Sie hatte ja schon oft mit ihr telefoniert, aber nie zuvor an einem Neujahrsmorgen vor Sonnenaufgang. Und wenn diese ansonsten gefestigte und patente Frau einen derart hohen Tonfall anriss, dann musste die Lage tatsächlich ernst sein.

Als die Poesie bei der Bücherei ankam, fuhren die Herren von der Polizei gerade weg. Sie hoben aus dem Auto heraus noch höflich ihre Dienstmützen zum Gruße, dann rauschten sie ab.

„Die Herren meinen, man könne nichts machen. Ein dummer Jungenstreich vielleicht. Nach Silvester hätten sie immer Wichtigeres zu tun. Es sei schließlich niemand zu Schaden gekommen. Und die Büchereidamen seien ja flink, die könnten das sicher schnell beseitigen.“

Die Büchereileiterin schien empört. Die Poesie war nun auch ohne Kaffee hellwach und zu allem bereit: Auf dem Schaufenster der Bücherei stand in großen, roten Buchstaben ALLES LUG UND TRUG.

Eines war klar: Die Polizei hatte keine Ahnung. Hier musste tatsächlich die Poesie ans Werk. Der Täter oder die Täterin musste gefunden werden.

Dreihundertfünfundsechzigste Tasse

Wir sitzen auf einem Berggipfel. Die Sicht ist gut.

Man könnte hier oben bleiben, sage ich, man fühlt sich so leicht.

Das wäre feige, sagt die Poesie, und MAN sagen die, die nicht zugeben wollen, dass sie sich selbst meinen und sich eigentlich nur vor irgendwas drücken wollen.

Die Poesie hat eine Thermoskanne und zwei Tassen dabei. Sie gießt Kaffee ein und reicht mir eine letzte Tasse rüber.

Du und ich, sagt sie, wir trinken das jetzt aus. Für den Weg. Bevor wir wieder ins Tal gehen. Es wird ein langer Marsch. Aber keine Angst, Bob Dylan und ein paar andere Genossinnen und Genossen werden sich unterwegs anschließen. Und es gibt jede Menge öffentliche Büchereien, die wir besuchen können, wenn uns die Puste ausgeht.

Dreihundertvierundsechzigste Tasse

Dieses Kaffeekränzchen muss jetzt gesprengt werden, sagt die Poesie.

Die Poesie mag keine Feuerwerke und keinen echten Sprengstoff. Sie holt tief Luft und saugt alle Wörter in sich hinein, die ihr auf die Schnelle in den Sinn kommen. Dann geht sie lautlos und unsichtbar in die Luft und nimmt alles mit, was auf dem Tisch steht. Nichts davon verpufft und verschwindet. Das Geschirr zerbricht, Scherben steigen auf und prasseln irgendwo wieder herunter. Ein wildes Durcheinander, das nie wieder zusammenzusetzen sein wird. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Aber nicht die der Poesie.

Dreihundertdreiundsechzigste Tasse

Zwischen den Jahren fühle ich mich immer wie ein Maulwurf im Nachthemd, sagt die Poesie. Oder wie Iggy Pop im Stau über den Brenner. Zum Glück steht in den nächsten Tagen kein Staatsbesuch mehr an.

Und mit diesen Worten lehnt die Poesie, die übrigens tatsächlich noch das Nachthemd trägt und der über Nacht eine seltsam stumpf wirkende Langhaarfrisur gewachsen ist, sich zurück und steckt ihre Nase in Marlen Haushofers „Die Wand“.

Dreihundertzweiundsechzigste Tasse

Piraten haben an die Tür geklopft, der Poesie den letzten Nerv zu rauben. Da ist kein Wasser, ihr Schiff treibt auf dem Strom der Zeit.

Ihr glaubt wohl, ich habe Ende des Jahres keine Kraft mehr, ruft die Poesie, und feuert die Goethe-Gesamtausgabe ab.

Sie trifft, die Piraten laufen auf Grund und kommen, unter Goethe begraben, auch nicht mehr so schnell auf die Beine.

Den letzten Nerv der Poesie raubt niemand so schnell. Der Strom der Zeit kann uns anspülen, was oder wen er will. Wir haben noch den gesammelten Schiller, Schnitzler, Rimbaud, Dostojewski und viele andere Schwerenöter im Regal.

(Munition gegen Nerv-Piraten und anderes fieses Gesindel: Heute erhältlich in der Bücherei Kirchstetten, geöffnet von 16 bis 19 Uhr.)

Dreihunderteinundsechzigste Tasse

Das Jahr war turbulent genug, ruhen wir uns ein wenig aus, sagt die Poesie.

Wir trinken unseren Kaffee also im Fass des Diogenes. Diogenes ist nicht besonders redselig. Wir sind es auch nicht. Draußen regnet es ein wenig. Ein paar Schneeflocken mischen sich zwischen die Tropfen. Es prasselt angenehm leise auf das Holz des Fasses. Die Poesie streckt ihre Tasse aus dem Fass und lässt es hineinprasseln. Die Schneeflocken knistern, sobald sie im Kaffee landen. Bald schon geht die Tasse über. Wir bleiben reglos im Fass und schauen zu, wie das Wasser-Kaffee-Gemisch an der Tasse hinunterläuft und auf den Erdboden tropft. Irgendwann ist es nur noch Wasser.

Dreihundertsechzigste Tasse

Zum Stefanitag geht die Poesie gerne auf den Dachboden und füttert die Marder mit Störibrot und Stromkabeln. Sie bringt ihnen vorzugsweise Ladekabel. Den Mardern ist es egal, welche Art Brot und welche Art Kabel sie bekommen, sie knabbern alles an. Der Poesie nicht.

So viel Brauchtum muss sein, sagt sie, während wir statt dem Störibrot, das wir selbst nie gemocht haben, stinknormale Butterbrote essen und warten, bis endlich alle Akkus unaufladbar leer sind.

Jetzt kann Weihnachten und auch das Jahr in Stille beendet werden, sagt die Poesie und schlägt Günter Eichs „Maulwürfe“ auf, um für den Rest des Tages darin zu verschwinden. So viel Brauchtum macht Sinn, sagt sie noch.

Und dann ist es, bis auf das Rascheln der Buchseiten und das Trappeln der Marder auf dem Dachboden, für heute still.