Euphoria schlug als erste die Augen wieder auf.
Das kenne ich doch…dachte sie, noch etwas schlaftrunken. Und die Stimme dazu, die auch, aber – wem gehört die bloß?
Euphoria blickte sich um, dann sah sie, wem diese Stimme gehörte, die, nicht ohne Routine, wie es schien, aus Virginia Woolfs „Orlando“ vortrug.
Nun rappelte sich auch, Euphoria glaubte es noch kaum, die Poesie auf, rieb sich die Augen, drehte den Kopf, als müsse sie ihn erst wieder einrenken, und blickte dann ebenfalls zu dem unerwarteten Vorleser.
Guten Tag Herr Doktor, sagte die Poesie zu dem noch immer sehr inbrünstig vorlesenden Kirchstettner Arzt. Wie lange habe ich geschlafen?
Der Arzt unterbrach und schien erleichtert, als er Euphoria und die Poesie nun, auf der Stelle wieder hellwach wie gewohnt, auf dem Sofa sitzen sah.
Ungewöhnlich lange, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich bin froh, dass Virginia Woolf tatsächlich gewirkt hat und nun alle wieder bei Sinnen sind. Sagte der Arzt und legte das Buch zur Seite.
Wenn es nach mir ginge, könnten Sie ruhig noch etwas daraus lesen, sagte die Poesie. Aber ich habe da leider etwas sehr Unangenehmes geträumt, bzw. ich nehme an, es war kein Traum. Denn ich bin ansich keine Träumerin. Ich bin meist sehr fest in der Realität verankert. Auch im Schlaf…
Denkst du an eine kolossale Nervensäge, die in unserer Bücherei ihr Unwesen trieb? Fragte Euphoria, die sich nun ebenfalls zu erinnern schien.
Leider ja, sagte die Poesie. Und wenn ich mich richtig entsinne, gab es auch anderswo in Kirchstetten zuletzt Vorkommnisse, die nicht gerade erfreulich gewesen sind.
Hier mischte sich der Arzt nochmal ein: Wollen wir nicht erst in Ruhe zu uns kommen? Ich würde gern kurz ein paar Nachuntersuchungen durchführen. Nur zur Sicherheit.
Klar, sagte die Poesie, aber bitte rasch. Ich habe das Gefühl, wir haben viel Zeit verloren durch diesen lästigen Schlaf.
Der Arzt untersuchte die beiden frisch Erwachten zügig und fragte dann zielstrebig: Wie oft habt ihr Dornröschen gelesen?
Euphoria seufzte: Zu oft, vermutlich…
Ja, bestätigte der Arzt. Das vermute ich auch. Nichts gegen Märchen, aber mit manchen sollte man vorsichtig oder zumindest kritisch sein. Also nicht mehr zu viele davon in Zukunft! Nur noch in gesunden Dosierungen! Und Obacht vor Märchen, in denen Frauen in tiefen Schlaf manövriert und damit außer Gefecht gesetzt werden. Das kann wirken wie K.O.-Tropfen!
Für Märchen, warf die Poesie ein, haben wir jetzt ohnehin keine Zeit mehr! Mir fällt da gerade etwas auf…fragt nicht – ihr wollt es nicht wissen!
Und damit sprang die Poesie auf, zückte ihren Bleistift und steckte damit auf Anhieb wieder voll und ganz in ihren Ermittlungen.