Was sollen wir bloß tun? Rief der besorgte Bürgermeister.
Ich muss nun ersteinmal zur Ruhe kommen, schluchzte die Poesie. Neue Kräfte sammeln. Das geht am besten in der Bücherei.
Ohne Zögern trug der Bürgermeister persönlich die geschwächte Poesie in die Bücherei und legte sie auf das Sofa. Euphoria kochte sofort einen starken Kaffee, stellte auch ein Stamperl Hagebuttenschnaps und Wurstbrote dazu – doch die Poesie winkte nur müde ab, schloss die Augen, lies den Kopf in die bunten Polster sinken und schlief ein.
Tage später schlief sie noch immer. Sie schlief während der Öffnungszeiten, wenn Besucherinnen und Besucher rücksichtsvoll so lautlos wie möglich um sie herumschlichen. Sie schlief, wenn Euphoria oder die anderen Mitarbeiterinnen über der Büroarbeit saßen oder katalogisierten und rücksortierten. Die Poesie schlief so tief, dass nach einer Woche der Kirchstettner Arzt gerufen wurde, um festzustellen, ob es sich um normalen Schlaf handelte oder schon um eine Art Koma.
Der Arzt untersuchte die leise schnarchende Poesie, die dabei zwar kurz murrte, die Augen jedoch geschlossen hielt.
Alles soweit in Ordnung, stellte der Arzt beruhigt fest. Herzschlag und Puls normal, Blutdruck unauffällig, Atem gleichmäßig. Ein ganz gewöhnlicher, wenn auch sehr tiefer Schlaf, würde ich sagen.
Aber das kann doch nicht sein, grübelte Euphoria. So lange…
Sie wird vermutlich in ihrem Leben sehr oft Dornröschen gelesen haben, wandte der Arzt ein.
Aber wir müssen doch jetzt wohl nicht auf einen lahmen Prinzen warten, der sie wachküsst??
Euphoria bekam Panik: Wir haben einen dringenden Fall aufzuklären! Wir können nicht warten, schon gar nicht auf so einen dahergelaufenen Jüngling, von dem keiner weiß, wie zuverlässig er überhaupt gut küssen kann…!
Keine Sorge, sagte der Arzt, ich habe da eine Idee.
Und damit verabschiedete er sich.
Euphoria blieb neben der noch immer schnarchenden Poesie zurück und wirkte jetzt, was nur sehr selten vorkam, mutlos. Ein scheinbar Irrer bedrohte die Bücherei. Massenhaft Buchseiten wurden lieblos am Bauhof entsorgt. Und nun hatte die Poesie nicht nur die Nerven weggeschmissen, sondern war auch noch in einen Dornröschenschlaf gefallen. Das war einfach zu viel!
Euphoria quetschte sich neben die Poesie auf das Sofa, stürzte das letzte Stamperl Hagebuttenschnaps hinunter, das sie noch am Nachmittag, wie schon fast zur Routine geworden war, für die Poesie bereitgestellt hatte, falls diese doch kurz erwachen sollte – und fiel auf der Stelle ebenfalls in einen tiefen, bisher nicht gekannten Schlaf.