Ein Blümchentischtuch liegt ausgebreitet vor uns. Es ist handbestickt, echtes Leinen, alte Qualitätsware, aussteuertauglich. Aber die Poesie ist unverheiratet und wird es bleiben. Und sie wird dieses Tischtuch auch niemandem aufzwingen, der im Begriff ist, eine Ehe einzugehen. Wir brauchen es nämlich. Das Tischtuch ist Tarnung. Darunter hat die Poesie mit einem Käsemesser das elfte Gebot in die Tischplatte geritzt. Die Poesie hält nicht viel von Geboten, die Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen.

Ich dachte, es könnte nicht schaden, den Anfang zu machen und ein Gebot hinzuzufügen. Und das Käsemesser lag gerade zufällig parat. Sagt sie.

Das elfte Gebot der Poesie lautet: Du sollst Gedichte lesen, hemmungslos, unerschrocken und, wenn nötig, laut.

Jetzt liegt fein säuberlich das Blümchentischtuch darauf ausgebreitet. Aber wir wissen, was darunter steht. Und wenn Besuch kommt, heben wir das Tischtuch vorsichtig an und lassen unsere Gäste lesen, was unsere Tischplatte weiß.

Weitersagen, flüstern wir dann.

Und streichen das Tischtuch schnell wieder glatt. Niemand soll der Poesie später nachsagen, sie hätte absichtlich zum Ungehorsam angestiftet. Er wäre aber möglich. Gerade durch Gedichte. Gerade unter solch einem Tischtuch. Wer eines in der Aussteuerkiste hat, hole es heraus.

(Wer keines hat, kann in der Bücherei Kirchstetten nachfragen. Dort werden bei Bedarf auch Tischtücher verborgt. Und natürlich Gedichte. Die Bücherei ist heute von 9 bis 11:30 Uhr geöffnet. Der Ungehorsam besitzt bereits eine Jahreskarte. Weitersagen!)

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