Die Ordination des Kirchstettner Arztes meldete heute einen explosionsartigen Anstieg an Anrufen besorgter KirchstettnerInnen. Nicht etwa wegen Corona! Sämtliche AnruferInnen vermeldeten Symptome ganz anderer Art: Kopfschmerzen, ein diffuses Gefühl innerer Leere und Haltlosigkeit, Unruhe und starke Stimmungsschwankungen.
Der Arzt ordnete die Symptome als psychosomatisch ein und konnte nach ausgiebiger, professioneller Befragung der AnruferInnen bald die eindeutige Diagnose stellen: Oben genannte Symptome werden von der plötzlichen, ungewohnten Abwesenheit der Poesie in Kirchstetten verursacht. Zudem sei heute, am Montag, die Bücherei geschlossen, was die Situation drastisch verschärft haben könnte. Der Kirchstettner Arzt ist selbst bekennender Leser und Liebhaber von Gedichten. Er gilt daher als Experte auf dem Gebiet Poesie-Entzug.
Die Poesie selbst, unterdessen, hat sich heute den ganze Tag auf dem Klo des Bundesinstituts für Erwachsenenbildung in Strobl am Wolfgangsee eingesperrt. Der Wolfgangsee sei ihr zu blau, die Berge ringsum zu malerisch, der Anteil unechter und dadurch verkitschter Tracht tragender Menschen im Ort einfach zu hoch und zu steil, nuschelte sie durch die geschlossene Klotür. Außerdem habe sie sogar jetzt, im Jahr 2020, und trotz düsterer Corona-Realität, ständig das Gefühl, Peter Alexander könnte jederzeit singend um die Ecke biegen. Diese Vorstellung sei ja wohl wirklich nicht auszuhalten.
Morgen wird auf dem Lehrgang für BibliothekarInnen, den wir hier eigentlich besuchen, Statistik behandelt. Vielleicht kann ich die Poesie mit diesem trocken anmutenden Thema als Gegengewicht zur überbordenden Idylle herauslocken.
Statistik von Bibliotheken kann übrigens tatsächlich sexy sein. Das nur nebenbei.